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Gemeinsam arbeiten, brainstormen. Wie barrierefrei lassen sich kollaborative Whiteboards in der Hochschullehre einsetzen?
Autor*innen: Mauro Avila Soto, Annegret Haage, Tom Frederik Leimbrock, Anne Pferdekämper-Schmidt - veröffentlicht am: 05.06.2025
Gemeinsam Brainstormen, Ideen entwickeln, sich austauschen, dynamisch zusammenarbeiten, einen Überblick über ein Thema gewinnen, Inhalte sammeln, Perspektiven verändern, ein Projekt planen – alles didaktische Einsatzszenarien, für die man in der digitalen Hochschullehre, egal ob synchron oder asynchron, schnell bei kollaborativen Whiteboards landet. Beim ersten Blick auf die Tools fällt sofort die schier unbegrenzte Anzahl an Gestaltungsmöglichkeiten auf, mit denen sich jede*r Studierende beteiligen kann. Doch sind die Tools im Hochschuleinsatz auch barrierefrei zugänglich? Gibt es Möglichkeiten, diese barrierefrei einzusetzen?
Das Kompetenzzentrum digitale Barrierefreiheit.nrw hat die Whiteboards Mural und Miro sowie das Whiteboard in Zoom ausführlich getestet. Viele der Ergebnisse lassen sich auch auf andere Whiteboards (wie z. B. das Conceptboard) übertragen, da die Funktionen und Bedienmöglichkeiten ähnlich sind.
Die Whiteboards sind grenzenlos erweiterbare digitale Arbeitsflächen, auf denen Gruppen orts- und zeitunabhängig zusammenarbeiten können. Sie bieten eine Vielzahl von Werkzeugen wie Notizzettel, Textfelder, Zeichen- und Markierungsfunktionen, Formen, Pfeile, Kommentar- und Chatfunktionen sowie die Möglichkeit, Dateien, Bilder, Links oder eingebettete Medien zu integrieren. Inhalte lassen sich in Bereiche strukturieren und mithilfe von Vorlagen für typische Aufgaben wie Brainstorming, Diagrammerstellung oder Projektplanung organisieren. Für die synchrone Zusammenarbeit stehen Funktionen wie Abstimmungen, Timer oder geführte Navigation durch die Hosts zur Verfügung.
Das Whiteboard bei Zoom unterscheidet sich insofern von den anderen Plattformen, weil es in Zoom integriert ist und vor allem live während Zoomsitzungen verwendet wird. Es deckt ebenfalls viele Funktionen ab. Die Whiteboards stehen unabhängig von der Live-Sitzung zur Verfügung, so dass sie von den Teilnehmenden auch nach der Veranstaltung bearbeitet werden können.
Alle getesteten Whiteboards haben auf ihren Seiten Hinweise zur Barrierefreiheit und bieten Tastaturkürzel oder andere spezielle Bedienungshilfen für die Nutzung mit Screenreadern an und liefern oftmals vielfältige Hinweise zur barrierefreien Gestaltung der jeweiligen Boards. Unsere Testergebnisse sind trotzdem ernüchternd.
Toolübergreifende Ergebnisse
Getestete Aufgaben und Funktionen
Die Testungen von Mural, Miro und Zoom-Whiteboard wurden jeweils mit einem individuell gestalteten Board durchgeführt, in dem vorab exemplarische und für die Hochschullehre relevante Elemente (wie Tabellen, Haftnotizen/Sticky Notes bearbeiten und sortieren, eingebundene Bildern und Links wahrnehmen, eigene Themenbereiche erstellen, Timer wahrnehmen) angelegt worden sind. Die Testpersonen haben in Testpaaren nach eigenem Tempo die Whiteboards ausprobiert, zudem gab es jeweils einen Gruppentest, um das kollaborative Arbeiten in Live-Situationen zu testen.
Kollaborative Whiteboards stellen besondere Herausforderungen für die Barrierefreiheit dar – vor allem aufgrund ihrer hohen funktionalen Komplexität und ihrer stark visuellen Ausrichtung. Die Bestrebungen der Hersteller, ihre Whiteboards barrierefreier zu gestalten, sind sehr zu begrüßen. Bisher ist es aber nicht gelungen, überzeugende Lösungen zu finden. Gerade die visuelle und oft räumlich orientierte Interaktion auf den Boards erschwert eine rein tastatur- oder sprachbasierte Navigation erheblich.
Mit der Sprachsteuerung (iOS/Voice Control) war eine aktive Beteiligung bei keinem der getesteten Boards möglich. Grund dafür ist meist, dass zentrale Bedienoberflächen nicht auf semantischem HTML basieren, sondern als dynamische Grafiken (z. B. per Canvas oder SVG) dargestellt werden. Sprachbefehle können dadurch keine klar adressierbaren Ziele erkennen.
Bei unseren Tests haben wir keine derart großen Unterschiede in der Barrierefreiheit und Usability für Nutzende mit Behinderungen gefunden, dass wir ein Board mehr empfehlen können als andere. Wenn Lehrende die Möglichkeit haben, zwischen Whiteboards auszuwählen, empfiehlt es sich, nach Einsatzzweck und den Bedarfen in der Lerngruppe zu entscheiden. Dabei hilft unsere Übersicht zu den einzelnen Whiteboards.
Eine spezielle Problematik ergibt sich beim Whiteboard von Zoom: Das Whiteboard funktioniert aufgrund des hohen Arbeitsspeicherbedarfs nicht gut, wenn zeitgleich assistive Software wie Screenreader und Zoomtext genutzt werden.
Toolübergreifend lassen sich vier Erkenntnisse zusammenfassen, die für alle Whiteboards gelten:
- Es müssen viele Voraussetzungen erfüllt sein, damit kollaborative Whiteboards überhaupt mit assistiver Technologie genutzt werden können. Vor allem Screenreader-Nutzenden ist es sehr schwer gefallen, sich den Aufbau des Boards überhaupt zu erschließen. Nutzende assistiver Technologien brauchen eine Vorbereitungszeit, um sich in Funktionen des Whiteboards und vor allem in die zahlreichen Tastaturkombinationen einzuarbeiten. Ein zusätzliches Problem ist, dass manche Tastaturkombinationen auch von Screenreadern oder dem Browser belegt sind und deshalb nicht funktionieren.
- Die Boards müssen von den Lehrenden gut strukturiert und möglichst barrierefrei gestaltet werden. Dafür bieten alle Whiteboards Funktionen zur Strukturierung der Inhalte (z. B. „Outline“ in Mural, „Frames“ in Miro). Zur barrierefreien Gestaltung gehören zudem ausreichende Kontraste und eine überschaubare Anzahl an Elementen. Ohne diese Vorbereitung der Autor*innen ist die Nutzung von kollaborativen Whiteboards nicht barrierefrei möglich und kann für die inklusive Hochschullehre nicht genutzt werden.
- Auch wenn unter 2. genannte Kriterien erfüllt sind, benötigen Studierende mit fast allen assistiven Technologien für die Bearbeitung und Zusammenarbeit deutlich mehr Zeit, was die didaktischen Vorteile beim Einsatz kollaborativer Whiteboards gravierend reduziert.
- Die häufigen visuellen Veränderungen und übermäßigen Reize durch viele Bewegungen auf einem Board erhöhen die kognitive Anstrengung und erschweren die Konzentration auf wesentliche Inhalte des Boards. Dies führt bei fast allen Nutzer*innen dazu, dass Veränderungen, Anpassungen und Ergänzungen schwer bis kaum nachvollziehbar sind. Die Tools sind sehr komplex, sodass sie mit wenig Routine schwer bedienbar sind bzw. Studierende den Überblick verlieren.
Da die Barrieren vielfältig sind und sich zum Teil von Tool zu Tool unterscheiden, schildern wir zunächst die Ergebnisse zu den verschiedenen Whiteboards. Zum Schluss geben wir didaktische Hinweise, wenn Sie Whiteboards einsetzen wollen.
Unsere Testergebnisse im Einzelnen
Bei den Einzelergebnissen wiederholen wir nicht die allgemeinen Erkenntnisse, die für alle Whiteboards gelten, sondern beschreiben einzelne toolspezifische Barrieren und Usability-Probleme.
Mural
Zu den oben genannten Barrieren bei der Nutzung von Mural, die für alle Whiteboards gelten, kommen einige Barrieren und Usability-Probleme hinzu, die die Arbeit mit dem Tool zusätzlich erschweren können. Dabei ist die Menüführung schwer verständlich, da die englischen Begriffe im Menü von Screenreadern mit der Standard-Sprache Deutsch fehlerhaft vorgelesen werden. Die Orientierung auf dem Board und die Rückmeldung, auf welcher Bearbeitungsebene man sich befindet, ist nicht immer deutlich zu erkennen, da die Feedback-Meldungen des Tools nur kurz eingeblendet werden. Dies erschwert die Wahrnehmung bei der Bedienung mit Tastatur oder Screenreader erheblich.
Weitere Barrieren und Usability-Probleme bei der Nutzung von Mural mit:
Zoom-Whiteboard
Ein zentrales Problem bei der Nutzung von Zoom-Whiteboard ist, dass das Whiteboard aufgrund des hohen Arbeitsspeicherbedarfs nicht gut zusammen assistiver Software wie Screenreader und Zoomtext funktioniert. Mit den Screenreadern NVDA und JAWS war dadurch fast gar keine Bedienung möglich und mit ZoomText dauerte es zum Teil lange. Mit der iOS-Sprachsteuerung lässt sich das Board nur lesen, aber nicht aktiv bearbeiten.
Weitere Barrieren und Usability-Probleme bei der Nutzung von Zoom-Whiteboard mit:
Miro
Bei der Nutzung von Miro war eine ausschließliche Navigation mit der Tastatur aufgrund von Tastaturfallen, unklaren Tastenkombinationen und inkonsistenter Beschriftung schwierig. Bei Sehbeeinträchtigungen erschweren unklare Rückmeldungen des Tools und inkonsistente Steuerelemente und Beschriftungen die Bedienung.
Weitere Barrieren und Usability-Probleme bei der Nutzung von Miro mit:
Didaktische Konsequenzen und Empfehlungen
Whiteboards sind aufgrund der Funktionsfülle und der räumlich orientierten Interaktionen nicht intuitiv bedienbar. Das erschwert die Bedienung mit assistiven Technologien. Deshalb sollte die erste didaktische Überlegung sein, ob das Whiteboard für den didaktischen Zweck zwingend notwendig ist oder ob ein einfacheres Tool wie digitale Pinnwände oder ein Etherpad den Zweck ebenso erfüllen könnte.
In Live-Settings können sich Studierende, die auf eine Sprachsteuerung oder Screenreader angewiesen sind, nicht gleichberechtigt aktiv beteiligen. Sind Studierende mit diesen Bedarfen in der Lerngruppe, sollte entweder ein einfacheres Tool gewählt werden oder grundsätzlich in Paaren oder Kleingruppen am Board gearbeitet werden.
Stellen Sie Links zu Anleitungen für alle Studierenden zur Verfügung.
Alle Tools sind besser bzw. nur bedienbar, wenn sich Studierende mit ihnen auskennen. Vor der Arbeit den Tools sollte der jeweilige Einsatz angekündigt, auf eine ausführliche und praxisnahe Anleitung und Einführung in das Tool hingewiesen oder dies durch Materialen zum Selbststudium aufbereitet werden. Idealerweise stellen die Hersteller der Tools Anleitungen zu Tastaturkürzeln und erleichterten Bedienung zur Verfügung, auf die Sie in Ihren Anleitungen verweisen können. Gerade für Screenreader-Nutzer*innen empfiehlt sich der Hinweis auf die Menüsprache in Englisch. Es hilft, wenn Lehrende zudem kurz den Aufbau des eigenen Boards erklären und welche Funktionen genutzt werden sollen.
Links zu Anleitungen
Gestalten Sie Ihre Boards barrierefrei.
Gestalten Sie das Tool mit möglichst wenig Elementen, die übersichtlich angeordnet sind. Betten Sie alle Elemente und Inhalte in Rahmen ein. In Mural empfiehlt sich z. B. die Definition aller Rahmen als „Outline“. Den Studierenden sollte hier der Hinweis gegeben werden, wie man über Outline mit den jeweiligen assistiven Technologien navigiert. In Miro sollten alle Rahmen beschriftet werden (Hinweis: Dies unterstützt die visuelle Orientierung auf dem Board. Die Funktion ist für Screenreader nicht zugänglich).
Achten Sie auf die Verwendung kontrastreicher Elemente (Kontrastverhältnis mind. 4,5:1).
Links zu Anleitungen
Begleiten Sie die Arbeit mit dem Board barrierefrei.
Bedenken Sie in Ihrer Zeitplanung und Moderation der Lehrveranstaltung, dass Nutzer*innen assistiver Technologien mehr Zeit zur Navigation und Orientierung auf dem Board benötigen. Planen Sie intuitiv also immer mehr Zeit ein. Geben Sie in der Moderation einen Überblick über alle enthaltenen Elemente – verbalisieren Sie sämtliche Inhalte! Fördern Sie mündliche Diskussionen durch gezielte Aufgabenstellungen, die nicht nur die Zusammenarbeit im Board erfordern.