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Akustische Verstärkung im Hochschulkontext: Systeme und Anwendungsmöglichkeiten für schwerhörige Studierende

Autorin: Rose Jokic, veröffentlicht am 02.04.2024

Vorlesungen, Gruppenarbeiten, Seminardiskussionen oder Infoveranstaltungen – im Hochschulkontext gehören gesprochene Inhalte zum Alltag. Aufgrund der oft schlechten Akustik in vielen Räumen und Situationen sind Schwierigkeiten beim Verstehen hörbarer Inhalte für schwerhörige Personen trotz der Verwendung von Hörgeräten und Implantaten ein Problem.

In der Studierendenbefragung „best3“ gaben im Jahr 2023 1,1 Prozent der Studierenden an, dass ihr Studium aufgrund ihrer Hörbeeinträchtigung erschwert sei (vgl. Steinkühler et al. 2023, S. 22). Diese Studierenden haben zum Teil besondere Anforderungen an störungsarme Sicht-, Hör- und Belüftungsverhältnisse, Bedarfe an technischen Hilfsmitteln zum individuellen Gebrauch oder an einer speziellen technischen Ausstattung (vgl. ebd., S. 91f.). Diese Bedarfe und Anforderungen werden jedoch von den Hochschulen bisher selten erfüllt, obwohl sie dazu beitragen würden, Menschen mit Hörbeeinträchtigung an Bildung einfacher teilhaben zu lassen (vgl. ebd., S. 94). Hochschulen sind daher aufgefordert, den Zugang zu hörbaren Inhalten zu schaffen. Das würde auch anderen Studierenden zugutekommen. Schließlich profitieren nicht nur hörbeeinträchtigte Studierende von guter Akustik, sondern alle Menschen, denn eine störungsfreie Akustik erleichtert das aufmerksame Zuhören, Verstehen, Lehren und Lernen.

Doch welche Systeme eignen sich für welche Umgebung und wie können diese genutzt werden? Es gibt fest verbaute Induktionsschleifen und mobil nutzbare Lösungen via FM-Anlagen (drahtlose Signalübertragungsanlagen mit frequenzmodulierten Funksignalen), Mikrofone, Kopfhörer und Apps, die je nach Lernsetting und räumlichen Voraussetzungen eingesetzt werden können.

Dieser Beitrag bietet einen Überblick zu möglichen Lösungen an Hochschulen. Genauere Informationen zu den einzelnen Systemen der jeweiligen Hochschule sind in der tabellarischen Übersicht des Kompetenzzentrums digitale Barrierefreiheit.nrw verfügbar. Diese listet verfügbare assistive Technologien der beteiligten Hochschulen auf und ist als Download verfügbar.

Festverbaute induktive Höranlagen oder Induktionsschleifen

Induktive Höranlagen bzw. Induktionsschleifen sind als im Raum verbaute oder ausleihbare Umhänge-Schleifen verfügbar. Sie ermöglichen es Personen, die Hörgeräte oder Implantate tragen, über eine in den Geräten aktivierte T-Spule akustische Signale zu empfangen.

Für den Einbau von induktiven Höranlagen in öffentlich zugänglichen Räumen gelten die Vorschriften, die in der DIN 18040 „Barrierefreies Bauen, Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude“ festgehalten werden.

Die gesprochenen Inhalte müssen dafür in ein Mikrofon eingesprochen werden. Oft sind die verbauten induktiven Höranlagen bereits aktiviert und die Mikrofone eingeschaltet, so dass die Übertragung beim Betreten des Raumes automatisch erfolgt. Je nachdem, wie die Induktionsschleife verbaut ist, kann es sein, dass die Induktionsschleife nur einen Teil des Raums abdeckt, zum Beispiel die ersten zehn Reihen im Hörsaal. Ebenso ist es möglich, dass die induktive Höranlage im Raum erst noch aktiviert werden muss, damit die Übertragung erfolgen kann.

Die induktiven Höranlagen sollten bei baulichen Vorhaben an Hochschulen im Sinne der Barrierefreiheit fest eingeplant werden. Für die Planung und Instandsetzung einer induktiven Höranlage gibt es die internationale Norm DIN EN 60118-4. Diese schreibt beispielsweise die Feldstärke und den Frequenzgang der induktiven Anlage vor. Besonders wichtig bei der Planung zu beachten ist, wo im Raum die Induktionsschleife verlegt wird und ob diese z.B. auch den Bereich der vortragenden bzw. lehrenden Personen einfasst. Um Personen, die eine Induktionsschleife für eine unproblematische Teilnahme benötigen, diskret die Platzauswahl zu erleichtern, kann dazu ein Hinweis an der Tür angebracht werden.

Mobile Höranlagen

Es handelt sich hierbei um Medientechnik, welche ermöglicht, akustische Inhalte mittels Verstärker, wie Mikrofone oder mobile Induktionsschleifen, auf Implantate sowie Hörgeräte zu übertragen.

Dabei können Mikrofone mobil eingesetzt werden, entweder als Hand- oder als Tischmikrofone. Die sprechende Person ist dazu angehalten, ein Umhänge-Mikrofon zu tragen oder ein Tischmikrofon so zu platzieren, dass es Wortbeiträge aus der Umgebung überträgt.

Die Geräte können über Induktionsschleife/ T-Spule oder Bluetooth verbunden werden. Die Übertragung erfolgt via T-Spule oder via Bluetooth auf das Hörgerät. Die Modelle, die einen Transfer lediglich mittels Bluetooth-Übertragung auf Hörgeräte ermöglichen, können Schwierigkeiten bei der Übertragung verursachen. Zudem ist die Kostenübernahme von bluetoothfähigen Hörgeräten noch nicht durch die Krankenkassen gesichert. Daher sollte bei Neueinrichtungen darauf geachtet werden, dass die akustische Versorgung auch mittels T-Spule erfolgen kann.

Zudem können Mobiltelefone für die Hörunterstützung eingesetzt werden. So können manche Hörgeräte mit Smartphones verbunden und akustische Informationen über das Smartphone übertragen werden, zum Teil mit Geräuschfilterungen. Dies kann vor allem in kleineren Gruppen hilfreich sein. Manche Audiosysteme, die den Ton von Audioanlagen übertragen, funktionieren über eine Smartphone-App, die den Ton auf Kopfhörer oder bluetoothfähige Hörgeräte über das WLAN übermitteln.

Lösungen im Einsatz an der Hochschule

Ob fest verbaute Induktionsschleifen oder mobile Höranlagen – für den störungsfreien Zugang zu Lehrveranstaltungen sind beide Systeme hilfreich. Nachfolgend findet sich eine Auflistung möglicher Lehrsettings gefolgt von der Darstellung technischer Lösungen:

  • Vorlesungen:
    In Lehrsettings mit überwiegendem Frontalunterricht, wie z.B. in Vorlesungen, sind fest verbaute und mobile Höranlagen, bei der Vortragende in ein Mikrofon sprechen, eine gute Lösung. Wortbeiträge von Teilnehmer*innen müssen in ein Handmikrofon gesprochen werden.
     
  • Kleingruppen:
    Für die Arbeit in Kleingruppen werden mobile Höranlagen benötigt. Hier kann ein Tischmikrofon eingesetzt werden, das Umgebungsgeräusche im Raum filtern kann und so ausgerichtet wird, dass die Verstärkung im Umfeld vom 360 Grad erfolgt.
     
  • Seminare:
    Für Seminarsettings mit vielen Wortbeiträgen sollten mehrere Mikrofone zur Verfügung stehen, die weitergereicht werden können, damit eine dynamische Zusammenarbeit möglich wird.

An manchen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen werden zusätzlich zu eingebauten Hörschleifen und FM-Anlagen noch zwei weitere Lösungen eingesetzt, die für verschiedene Settings im Studium hilfreich sind.

  • Sennheiser Mobile Connect als eine Alternative bzw. Ergänzung zu fest eingebauten Induktionsschleifen in Hörsälen und anderen Veranstaltungsräumen mit eingebauten Audioanlagen. Dieses System eignet sich auch für Vorlesungen und Veranstaltungen, in denen Frontalunterricht dominiert. Das Live-Audiosystem ist mit der Audioanlage des Hörsaals verbunden und überträgt den Ton über eine frei verfügbare App. Die Teilnehmer*innen laden die Sennheiser Mobile Connect-App auf ihr Smartphone herunter und wählen sich über das WLAN der Hochschule ein. Sie empfangen den Audioton, indem sie entweder ihr Hörgerät bzw. Cochlea-Implantat per Bluetooth mit dem Smartphone verbinden oder Kopfhörer nutzen. Das System kann deshalb auch für Studierende hilfreich sein, die von Nebengeräuschen abgelenkt werden, denn sie können die Vorlesung mit Kopfhörern verfolgen. Sennheiser Mobile Connect verfügt zudem über eine Talkbackfunktion: Teilnehmer*innen können die Smartphone-App als Mikrofon nutzen und Fragen stellen oder Diskussionsbeiträge leisten. Es entfällt also das umständliche Herumgeben eines Saalmikrofons.
     
  • Phonak Roger als ein mobiles System, was zwar überall eingesetzt werden kann, eignet sich besonders für Seminare und bei Gruppenarbeiten, wenn die Diskussion im Vordergrund steht. Phonak Roger ist ein mobiles drahtloses System, das über Mikrofone und Empfänger den Ton auf Hörgeräte und Cochlea-Implantate überträgt.  Es gibt unterschiedliche Mikrofone, die entweder für einzelne Sprecher*innen oder für Gruppensituationen geeignet sind. Die Sprecher*innen können ein Mikrofon umhängen oder das Pass-Around-Mikrofon herumreichen.

Für die Arbeit in Kleingruppen eignet sich das Roger Touchscreen Mic. Dieses kann umgehängt oder im Raum platziert werden. Es wechselt automatisch vom Einzelsprecher-Modus zum Gesprächsmodus für Kleingruppen, je nachdem, wo und wie es platziert ist. Auch ein Tischmikrofon, wie das Table Mic, kann für Arbeiten in Gruppen hilfreich sein. Es handelt sich dabei um ein rechteckiges Tischmikrofon mit unterschiedlich ausgerichteten Raumaufnahme-Möglichkeiten.

Ein sowohl mobil als auch stationär einsetzbares Mikrofon ist das Roger Select. Es passt sich der Geräuschumgebung an und erkennt automatisch die Sprechquelle. Das Mikrofon schaltet sich selbst an und aus. Nutzer*innen von Hörgeräten und Cochlea-Implantaten können sich über die T-Spule oder über eine Smartphone-App mit dem System verbinden.

Trotz zahlreicher Lösungen und Möglichkeiten akustischer Übertragungen, ist die Technik noch nicht so ausgereift, dass eine reibungslose Audioübertragung erfolgen kann. Die Erfahrungen aus Seminaren und Arbeiten in Kleingruppen zeigen, dass es weiterhin enorm wichtig ist, dass Seminarräume mit schalldämmenden Elementen ausgestattet werden, um eine reibungslose Kommunikation zu bieten. Schließlich spielt auch die Gesprächsdisziplin eine wichtige Rolle. Demnach sollten Teilnehmende darauf achten, nacheinander zu sprechen, Blickkontakt zu suchen und unbedingt in die Mikrofone zu sprechen. Lehrende haben die Aufgabe, an diese Gesprächsregeln zu appellieren und diese als Moderator*in selbst einzuhalten.

Fazit

Ob in der Vorlesung, im Seminar oder in einer Gruppendiskussionsrunde – ein störungsfreier Zugang zu hörbaren Inhalten kann demnach dank vielfältiger technischer Lösungen an Hochschulen für schwerhörige Menschen ermöglicht werden. Je nach Lernsetting eigenen sich unterschiedliche assistive Technologien, die beispielsweise in der didaktischen Planung mitbedacht werden sollten. Damit hörbeeinträchtigten Studierenden in Hochschulen die gleiche Bildung wie anderen zuteilwird, braucht es sowohl das Engagement von Seiten der Hochschule als auch das von Lehrenden und Studierenden. Von vielen dieser Lösungen können auch alle profitieren. Wer zum Beispiel durch Nebengeräusche stark beeinträchtigt wird, kann die Smartphone-App Sennheiser Mobile Connect mit Kopfhörern nutzen. Bei Induktionsschleifen ist dies über Empfänger möglich, an die Kopfhörer angeschlossen werden. Dadurch haben alle Studierenden die Möglichkeit, störungsfreier und konzentriert zuzuhören.

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Quellennachweise