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Digitale Lehre barrierefrei planen – step by step

Autorin: Anne Pferdekämper-Schmidt, veröffentlicht am 15.08.2024

Sie planen oder aktualisieren Ihr digitales Lehr- und Lernangebot und barrierefrei soll es auch noch sein? An welchen Stellen und vor allem wann sollten Sie in Ihrer Lehrplanung mit der Umsetzung digitaler Barrierefreiheit beginnen?

In diesem Blogbeitrag erhalten Sie Antworten auf diese Fragen. Er gibt Ihnen Hinweise zu Planung, Konzeption und Umsetzung Ihrer Lehre. Sie finden Tipps und Ideen zur Qualitätssicherung Ihrer Lehr- und Lernmaterialien. Erhöhen Sie durch barrierefreie Materialien die Qualität Ihrer Lehre!

Warum sollte Ihre Lehre barrierefrei sein?

Der beste Zeitpunkt: Vom Anfang bis zum Ende

Barrierefreiheit wird an vielen Stellen in der Gestaltung digitaler Lehr- und Lernmaterialien relevant. Zwei der wichtigsten Schritte sind wie immer die Planung und Vorbereitung Ihrer Inhalte, da sie die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung und Qualitätssicherung Ihrer Angebote sind. Die Barrierefreiheit von Lehr- und Lernmaterialien wird daher immer von Anfang an mitgedacht, da sich hierdurch Herausforderungen, wie z. B. ein ungeplanter Mehr- und Zeitaufwand in der Nachbereitung Ihrer Materialien, maßgeblich verringern. Danach erarbeiten Sie Ihre Materialien und gestalten diese barrierefrei. So gelingt es Ihnen am Ende, die Qualität Ihrer Lehr- und Lernangebote auch im Bereich der Barrierefreiheit sicherzustellen.

Schritt 1: Planung und Vorbereitung

In diesem Schritt sammeln Sie alle Ideen zu Lernzielen, -inhalten und -themen, Materialformaten sowie digitalen Tools. Hierzu gehört auch, sich über barrierefreie und inklusive Didaktik sowie zur Barrierefreiheit der gewünschten Materialien und digitalen Tools zu informieren. Sie sammeln also alle Anforderungen, Aufgaben und Umsetzungsschritte, die Sie zur Realisierung Ihrer geplanten barrierefreien Materialien benötigen. Es ist z. B. wichtig, dass Word- oder PowerPoint-Dateien, Lehrmaterialien wie Grafiken, Formeln und Videos oder auch Inhaltselemente für das genutzte Lern-Management-System (LMS) von Beginn an barrierefrei strukturiert werden. In der Planung ist es wichtig, mögliche Barrieren frühzeitig zu erkennen und mithilfe des Universal Design for Learning (UDL) passende Strategien auszuwählen. Um mögliche Barrieren kennenzulernen, hilft es, sich einen Überblick über Lern- und Anwendungsstrategien von Nutzer*innen assistiver Technologie zu verschaffen. Hierfür eignen sich z. B. User-Journeys mit Personas von Studierenden mit Beeinträchtigung. Gute Beispiele für potenzielle Nutzer*innen mit Behinderung und mögliche Barrieren liefern die Zusammenstellungen von Personas in der Toolbox „Digitale Barrierefreiheit“ des Projektes ILIAS.nrw (Internetseite, CC BY 4.0-Lizenz) und auch die umfangreichen Personas von „SHUFFLE – Hochschulinitiative digitale Barrierefreiheit für alle“ (Internetseite mit eingebundenen Audio- und Videoinhalten inkl. Untertitel und Transkript, keine CC-Lizenz). Im Idealfall können Sie studentische Mitarbeitende mit Behinderung in die Entwicklung des Materials einbeziehen, die Ihre Lehr- und Lernmaterialien im Entstehungsprozess testen und gemeinsam mit Ihnen reflektieren.

Erarbeiten Sie sich die allgemeinen Grundregeln für die Gestaltung barrierefreier Materialien. Diese gelten in der Regel für alle Formattypen und beziehen sich auf Formatierung, Schrift, farbliche Gestaltung, Grafiken und Bilder, Tabellen sowie Links (siehe Tabelle).

 

Gestaltungsprinzip

Hinweise, Regeln und Tipps

Formatierung

Nutzung von Formatierungsvorlagen der Programme:

  • Auszeichnung von Überschriften, Listen, Links und Texten

Schrift

  • Schriftart ohne Serifen (z. B. Arial, Open Sans, Calibri)
  • Formatierungen wie kursiv, unterstrichen oder VERSALIEN werden sparsam eingesetzt
  • Nutzung von Schriftschnitten der Schriftarten (zum Fetten z. B. Open Sans Semibold oder Arial Black)

Tipp: Die Lesbarkeit von Schriftarten ist individuell verschieden. Bei Dyslexie eignet sich Open Dyslexic, bei Sehbeeinträchtigungen Atkinson Hyperlegible Font. Offene Dokumente ermöglichen es Studierenden, die Schriftart und Größe individuell anzupassen.

Farbliche Gestaltung

  • Farbe gezielt einsetzen
  • Ausreichende Farbkontraste zwischen Vorder- und Hintergrund, Schriftfarbe und Hintergrund: Kontrastverhältnis bei normalem Text mindestens 4,5:1, bei großen Texten ab 18 Pt. mindestens 3:1. Das Kontrastverhältnis messen Sie mit dem Colour Contrast Analyzer.

Tipp: Farbe niemals als einzigen Informationsträger verwenden. Die Information ist auch noch über einen zweiten Weg wahrnehmbar. Zum Beispiel grüner Haken für richtig, rotes X für falsch.

Grafiken und Bilder

  • Alle inhaltlich relevanten Grafiken und Bilder haben Alternativtexte, die in den jeweiligen Kontextmenüs eingegeben werden, damit die Sprachausgabe Software darauf zugreifen kann.
  • Allgemeine Hinweise zur Farbgestaltung beachten (s.o.)
  • Auf Farbverläufe verzichten
  • Beachten sie den Lesefluss: von oben nach unten, von links nach rechts
  • Auf redundante Schmuckelemente verzichten
  • Komplexität reduzieren
  • Einsatz von sich bewegenden oder blinkenden Grafiken reduzieren, die Effekte auf 5 Sekunden begrenzen und/oder abschaltbar machen
  • Bilder in Textdokumenten als „mit Text in Zeile einfügen“

Tabellen

  • Über Option „Tabellen einfügen“
  • Tabellenkopf und ggf. erste Spalte als Überschrift auszeichnen
  • Bei langen Tabellen „Kopfzeile wiederholen“

Tipp: Tabellen nicht zur Gestaltung von Seiten benutzen, da dies von Screenreadern nicht verständlich vorgelesen werden kann.

Links

  • Links mit einen sprechenden Namen versehen, z. B. das Linkziel (zur Seite der Hochschuldidaktik) oder den Inhalt (Informationen zum Prüfungsverfahren) benennen.

Arbeitsschritte barrierefreier Umsetzung in den einzelnen Dateiformaten 

  • Wollen Sie Word- oder PowerPoint-Dokumente einbinden, strukturieren und gestalten Sie diese immer direkt von Anfang an barrierefrei. Entwerfen Sie sich mithilfe der Grundregeln barrierefreie Mustervorlagen, auf die Sie immer wieder zurückgreifen können. Hilfreich sind hierfür unsere Checklisten barrierefreie Dokumente und barrierefreie Präsentationen.
  • Erarbeiten oder greifen Sie auf bestehende (komplexe) Grafiken zurück, werden diese möglichst von Beginn an barrierefrei gestaltet. Vielleicht können komplexe Grafiken auch in mehrere weniger komplexe Darstellungen aufgeteilt werden. Wichtig ist, möglichst frühzeitig Alternativtexte für die Grafiken zu schreiben. Wie das gut gelingt, beschreibt unsere Checkliste zu Alternativtexten
  • Wollen Sie barrierefreie Videos einbinden, erarbeiten Sie für neue Videos direkt ein Skript das insbesondere Audiodeskription und aber auch Untertitel mitdenkt (Mögliche Leitfragen: Welche Beschreibungen der Bildebene übernehmen bereits Sprecher*innen, was muss in der Audiodeskription beschrieben werden? Gibt es an geeigneten Stellen kurze Sprechpausen für die Audiodeskription?). Auch bestehende Videos können mit gezielter Nachbearbeitung (Erstellen und/oder Überarbeiten der Untertitel und Audiodeskriptionen) barrierefrei gestaltet werden. Viele praktische Tipps liefern unsere Leitfäden zu Audiodeskription und Untertiteln.
  • Möchten Sie in die Lern-Management-Systeme (LMS) eingebundene Plug-ins und/oder H5P-Inhaltselemente nutzen, wählen Sie barrierefreie Elemente aus. Unsere umfassenden Testberichte zur Barrierefreiheit und Usability diverser digitaler Tools helfen bei der Auswahl und Gestaltung.

Unser Tipp: Prinzipiell unterscheidet sich die inklusive bzw. barrierefreie Konzeption von Lehr- und Lernmaterialien nicht von der allgemein bekannten hochschuldidaktischen Konzeption. Lehr- und Lernmaterial zu erstellen, welches für alle Teilnehmenden zugänglich ist, setzt aber an vielen Stellen voraus, dass Sie sich als Lehrende*r sowohl mit fachlichen Inhalten, didaktischen Überlegungen als auch der Barrierefreiheit auskennen. Falls Sie Ihr Wissen auffrischen möchten, nutzen Sie gerne unsere Weiterbildungsangebote oder schauen Sie sich auch mal auf den Seiten Ihrer hochschuldidaktischen Weiterbildung um.

Schritt 2: Umsetzung und Gestaltung

Egal, ob Sie vom leeren Blatt aus starten oder auf bestehende Materialien aufbauen, denken Sie Barrierefreiheit bei der Gestaltung jederzeit mit. Setzen Sie sämtliches Material barrierefrei um. Das heißt konkret, dass Sie (potenzielle) Bedarfe von Studierenden bei der Erarbeitung Ihrer Materialien mitdenken und nicht davon ausgehen, für Studierende mit Behinderung bei Bedarf Sonderformate zu entwickeln. So gelingt es Ihnen, dass die eine Person mit Behinderung nicht immer die Erfahrung macht, ständig eine Sonderlösung zu erhalten. Dies kann immer mal wieder trotzdem notwendig sein – aber je besser Sie Barrierefreiheit berücksichtigen, desto geringer wird der Anpassungsaufwand sein.

Unser Tipp: Integrieren Sie in Ihre Lehrmaterialien im Vorfeld oder zu Beginn sogenannte Barrierefreiheitsabfragen, in denen Sie Studierende ermutigen, ihre beeinträchtigungsbedingten Bedarfe bei Ihnen anzumelden und Sie über individuelle Nachteilsausgleiche bei Prüfungen zu informieren. Sie signalisieren damit als Lehrende*r zum einen Offenheit und Bereitschaft zu barrierefreier Lehre, erleichtern sich selbst aber auch zeitkritische spezielle Anpassungen Ihrer Materialien.

Zu den Grundregeln, die Sie idealerweise bei Dokumenten bereits in den Mustervorlagen berücksichtigt haben, kommen teilweise noch weitere formatspezifische Arbeitsschritte. Je nach genutzter Version der Software unterscheiden sich die einzelnen Arbeitsschritte zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit.

Umsetzungsstrategien über die Grundregeln hinaus

Dokumente – Word
Präsentationen – PowerPoint
Moodle
ILIAS
H5P

Teamarbeit von Studierenden ist ein wesentlicher Teil von hochschuldidaktischen Veranstaltungen. Auch hier können viele Barrieren auftreten, denen Lehrende durch entsprechende Anleitungen und die Auswahl von Tools entgegenwirken können. Viele Tipps dazu finden Sie in unserem Blogbeitrag Kollaboratives Lernen.

Nutzen Sie zur Veröffentlichung textbasierte, editierbare Dateiformate (z. B.: .html, .ppt, .docx oder .odt). Sie unterstützen maßgeblich die Barrierefreiheit und Zugänglichkeit Ihrer Materialien, weil die Studierenden so Materialien an Ihre eigenen Bedarfe anpassen können. Idealerweise stellen Sie allen Studierenden die Materialien rechtzeitig zur Verfügung – also z. B. bei synchronen Veranstaltungen ein bis zwei Tage vor der jeweiligen Sitzung.

Schritt 3: Qualitätssicherung

Testen Sie Ihr digitales Lehr- und Lernmaterial direkt bei der Erstellung auf Barrierefreiheit. Hierfür gibt es verschiedene Strategien, Tools und Hilfsmittel.

Lehr- und Lernmaterialien direkt bei der Erarbeitung überprüfen:

  • Programminterne Tests
    Programme wie Word, PowerPoint, Acrobat und die Editoren bei Moodle haben eine Funktion „Barrierefreiheitsprüfung“, um die Dokumente auf einen Teil möglicher Barrieren zu prüfen.
     
  • Navigier- und Anpassbarkeit von Materialien
    Testen Sie die Tastaturbedienung. Sind alle Inhalte erreichbar und ansteuerbar und gelingt eine konsistente Navigation durch die Dokumente und Elemente? Sofern der gewählte Medientyp Anpassungen zulässt, probieren Sie auch aus, ob ihr Material individuell anpassbar ist. Verändern Sie hierfür die Schriftart und -größe im Dokument. Um einen ersten Eindruck der Navigierbarkeit mit Screenreadern zu erhalten, kann der Open Source Screenreader NVDA genutzt werden. Dies ersetzt jedoch keinen Test durch Nutzer*innen der entsprechenden assistiven Technologie.

Falls Sie es ganz genau machen möchten: Diese Verfahren stellen noch keine umfängliche Barrierefreiheit Ihrer Materialien sicher! Bevor Sie Lehr- und Lernmaterialien in Ihrer Lehre nutzen und an Studierende weitergegeben, können Sie z. B. webbasierte Materialien mit verschiedenen (halb-)automatischen Tests auf Barrierefreiheit überprüfen (mehr Infos dazu bald als Blogbeitrag verfügbar).

Weiterführende Informationen und Hinweise