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Videokonferenzsysteme barrierefrei nutzen
Überblick über die Barrierefreiheit gängiger Systeme und Hinweise für die barrierefreie Online-Veranstaltungen
Autor*innen: Mauro Avila Soto, Anne Haage - veröffentlicht am: 05.06.2035
Mit der Corona-Pandemie haben Videokonferenzsysteme in die Hochschullehre Einzug gehalten. Es gibt viele Gründe, warum sie in Studium und Lehre auch heute eine Rolle spielen. Online-Sitzungen können gerade für Studierende mit Behinderungen Vorteile haben, um gleichberechtigt an Studium und Lehre teilzuhaben. Videokonferenzen können bessere akustische und visuelle Bedingungen für Studierende mit Hör- oder Sehbeeinträchtigungen schaffen. Manchmal kann es weniger belastend sein, von zuhause an Vorlesungen, Seminaren oder Gruppenarbeiten teilzunehmen. Voraussetzung ist, dass die Videokonferenzsysteme selbst zugänglich sind und die Online-Veranstaltung barrierefrei durchgeführt wird.
Dieser Artikel bietet einen kurzen Überblick über die Barrierefreiheitsfunktionen bekannter Videokonferenzsysteme, die an deutschen Hochschulen verwendet werden, sowie praktische Hinweise für Organisator*innen und Teilnehmer*innen für die Online-Sitzungen.
Barrierefreiheitsfunktionen von Videokonferenztools
Es gibt eine Reihe von Funktionen in Videokonferenzsystemen, die die unterschiedlichen Bedarfe von Teilnehmenden unterstützen und für die Barrierefreiheit von Videokonferenzen wichtig sind. Folgende Funktionen sollten Videokonferenzsystemen idealerweise bieten:
- Automatische Untertitel und Live-Transkription: Für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen sowie für alle, die visuelle Unterstützung beim Verstehen gesprochener Inhalte benötigen, sind automatisch erzeugte Untertitel und Transkriptionen in Echtzeit eine zentrale Hilfe. Entscheidend ist dabei die Genauigkeit dieser Funktionen.
- Fixierbare Kacheln: Wer auf Gebärdensprachdolmetschung angewiesen ist oder ein konstantes visuelles Layout benötigt, profitiert davon, wenn einzelne Videobilder dauerhaft angeheftet werden können – z. B. das Bild der dolmetschenden Person.
- Gute Sprach- und Tonqualität: Eine klare, störungsfreie Audioübertragung ist für alle wichtig – besonders aber für Menschen mit auditiven Verarbeitungsstörungen oder für Screenreader-Nutzende. Funktionen, um Hintergrundgeräusche zu reduzieren und die Sprachverständlichkeit zu optimieren, tragen erheblich zur Barrierefreiheit bei.
- Kompatibilität mit assistiven Technologien: Das Videokonferenzsystem sollte zuverlässig mit Hilfsmitteln wie Screenreadern (z. B. JAWS, NVDA, VoiceOver, TalkBack) bedienbar sein. Informationen über Aktivitäten im Raum – etwa, wenn jemand die Hand hebt, den Raum betritt oder eine Nachricht im Chat postet – sollten automatisch ausgegeben werden, damit auch Nutzende von Screenreadern jederzeit informiert bleiben. Sie sollten diese Meldungen auch individuell deaktivieren können, wenn sie nicht alle Informationen hören wollen.
- Tastaturbedienbarkeit und Shortcuts: Eine vollständige Steuerung des Systems per Tastatur ist essenziell für die Kompatibilität mit assistiven Technologien und unterstützt Menschen, die keine Maus nutzen können. Alle Funktionen – vom Beitritt bis zur Interaktion – müssen über die Tastatur erreichbar und aktivierbar sein. Spezielle Tastenkombinationen (Shortcuts) können die Navigation erheblich erleichtern, vor allem um den Chat zu öffnen, die Hand zu heben sowie Kamera und Mikro an- und auszuschalten.
- Anpassbare Darstellung: Nutzer*innen sollten die Möglichkeit haben, die Oberfläche in Bezug auf die Anordnung der Bereiche und Kacheln, Kontraste und Schriftgröße des Chats und der Untertitel an ihre Bedürfnisse anzupassen. Das erleichtert die Orientierung und verbessert die Lesbarkeit.
Barrierefreiheit der Videokonferenzsysteme
Im Folgenden werden die gängigen Videokonferenzsysteme, die an deutschen Hochschulen häufig genutzt werden, in Bezug auf ihre Barrierefreiheit und die oben genannten Funktionen vorgestellt. Als Quellen dienen aktuelle Testberichte, u.a. von der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT), internationale Studien sowie die Informationen zur Barrierefreiheit der Hersteller. Die wichtigsten Barrierefreiheitsfunktionen werden in einer Tabelle zusammengefasst.
Zoom
Zoom bietet relativ viele Barrierefreiheitsfunktionen und wird von vielen Menschen mit Behinderungen bevorzugt (Hersh, Leporini, Buzzi 2024). Zoom ist gut mit Screenreadern kompatibel und mit der Tastatur bedienbar. Es gibt zahlreiche Shortcuts, automatischen Live-Untertitel sind zuschaltbar. Teilnehmer*innen können bis zu neun Personen in der eigenen Ansicht festpinnen. In den Einstellungen können die Nutzer*innen unter Bedienungshilfen die Darstellung der Untertitel und die Größe der Chatanzeige anpassen, die Bildschirmfreigabe dimmen sowie auswählen, welche Status- und Warnmeldungen per Screenreader angesagt werden.
Webex
Webex ist mit Screenreader und mit der Tastatur weitgehend bedienbar, es braucht allerdings einer gewissen Einarbeitung, da nicht alle Bereiche auf die allgemein übliche Art und Weise erreicht werden können. Shortcuts sind vorhanden und können während der Sitzungen einfach nachgesehen werden. Automatische Live-Untertitel und Transkripte können zugeschaltet werden. Mehrere Videokacheln können angepinnt werden. Teilnehmende können zudem die Kontrasteinstellungen sowie die Schriftgröße der Untertitel und im Chat anpassen.
BigBlueButton (BBB)
BBB ist eine webbasierte Anwendung und mit Screenreader und der Tastatur bedienbar. Es gibt nur wenige spezielle Tastaturkürzel, lediglich zur Öffnung des Chats und dem An- und Ausschalten des Mikros. Der Chat ist für Nutzer*innen, die mit Vergrößerungen arbeiten, nicht gut erkennbar. Die gemeinsamen Notizen, die von allen Teilnehmenden bearbeitet werden können, sind für Screenreader-Nutzende nur eingeschränkt lesbar und nicht editierbar. Automatische Live-Untertitel werden von BBB nicht zur Verfügung gestellt, können aber manuell während der Sitzung erstellt werden. Videokacheln können angepinnt werden. Individuelle Anpassungen sind nur begrenzt möglich (Vergrößerung der Schrift und Buttons bis 125 Prozent) und müssen darüber hinaus über Browsereinstellungen vorgenommen werden.
Microsoft Teams
Microsoft Teams Meetings ist für Screenreader und die Tastaturbedienung zugänglich. Es gibt eine Reihe von Shortcuts für die Bedienung, die im Programm angezeigt werden. Allerdings bestehen sie häufig aus einer Kombination von drei Tasten, was motorisch anspruchsvoll sein kann. Automische Live-Untertitelung und Transkripte werden zur Verfügung gestellt. Die Untertitel werden den Sprecher*innen zugeordnet, sodass immer erkennbar ist, wer spricht. Eine beliebige Anzahl von Videokacheln kann angepinnt werden. Die Oberfläche kann nur bedingt verändert werden, nur im Chat kann die Schrift angepasst werden.
Barrierefreiheitsfunktionen von Videokonferenzsystemen - eine Übersicht:
Funktion | Zoom | Webex | BigBlueButton | Microsoft Teams |
Automatische Untertitelung/Transkripte | + | + | - (manuelle Erstellung) | + |
Fixierbare Kacheln | + | + | + | + |
Bedienbarkeit mit Screenreader | + | O Einarbeitung nötig | + | + |
Tastaturbedienbarkeit, Shortcuts | + | + | O | + |
Anpassbare Darstellung | + | + | O | O |
Für Videokonferenzsysteme gilt, was auf viele Anwendungen mit Funktionen der erleichterten Bedienung zutrifft: Bei Updates ändert sich häufig die Anordnung der Funktionen, ohne dass darüber explizit informiert wird. Das erschwert insbesondere Nutzer*innen von Screenreadern und anderen assistiven Technologien die schnelle und intuitive Nutzung.
Hinweise zur barrierefreien Durchführung von Videokonferenzen
Auch die Hosts und die Teilnehmer*innen können viel dazu beitragen, dass Online-Veranstaltung barrierefrei ablaufen. Wir haben die wichtigsten Hinweise zusammengestellt.
Vorbereitung
- Aktivieren Sie die Funktion für die automatischen Untertitel und Transkripte.
- Geben Sie den Teilnehmenden in der Einladung Hinweise zur Barrierefreiheit:
- Stellen Sie Präsentationen und andere Materialien, die in geteilten Bildschirmen verwendet werden, mehrere Tage vor der Veranstaltung in barrierefreier Form zur Verfügung.
- Informieren Sie über automatische Untertitel bzw. Transkripte und andere Unterstützungen,
z. B. Gebärdensprachdolmetscher*innen. - Fügen Sie einen Link zu Informationen zur Barrierefreiheit und den Shortcuts des Videokonferenzsystems bei, siehe Linkliste.
Während der Veranstaltung
- Legen Sie Regeln für die Kommunikation fest:
- Melden per Handzeichen-Funktion des Videokonferenzsystems, denn dann wird auch Screenreader-Nutzenden angesagt, wer spricht.
- Geben Sie den Teilnehmenden mehrere Möglichkeiten, sich zu beteiligen, durch Redebeiträge und die Nutzung des Chats.
- Sprecher*innen sollten zu Beginn zunächst ihren Namen nennen, damit alle Teilnehmenden wissen, wer spricht.
- Beobachten Sie den Chat regelmäßig und lesen Sie die Nachrichten vor, um sicherzustellen, dass alle über die Diskussion informiert sind.
- Achten Sie darauf, dass Ihre Videobild gut ausgeleuchtet ist (Licht von vorne, kein Fenster im Hintergrund).
- Achten Sie auf eine gute Tonqualität, nutzen Sie Headsets.
- Sprechen Sie deutlich und in moderatem Tempo
- Verbalisieren Sie die wichtigen Inhalte des geteilten Bildschirms. Geteilte Bildschirme sind für Screenreader-Nutzende nicht lesbar.
- Machen Sie bei längeren Sitzungen regelmäßig kurze Pausen, z.B. jede Stunde für 5 Minuten.
Nach der Veranstaltung
- Stellen Sie Transkripte zur Verfügung, wenn möglich.
- Bitten Sie die Teilnehmenden um Feedback zu etwaigen Barrieren und nutzen Sie diese Informationen, um zukünftige Sitzungen zu verbessern. Wenn Sie die Veranstaltung evaluieren, fügen Sie eine Frage zur Barrierefreiheit hinzu.